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Freitag, 27. Februar 2009

Letzten Dienstag in der Unterwelt


Ich kann in die Unterwelt hinabsteigen. Ja. Aber das müssen Sie bitte für sich behalten, sonst habe ich die ganzen religiösen Spinner im Genick. Weshalb ich das kann, weiß ich nicht. Ist schon immer so gewesen. Aber ich muss Sie wirklich bitten, darüber zu schweigen wie ein Familiengrab. Obwohl, da könnte ich Ihnen Sachen erzählen, wie es in Familiengräbern zugeht, wenn das manche Menschen wüssten, die würden sich nie in ein solches legen. Ich, auf jeden Fall, werde vehement auf einem Einzelgrab bestehen.
Aber ich wollte Ihnen eigentlich etwas ganz anderes erzählen. Letzten Dienstag war ich nämlich wieder einmal in der Unterwelt. Beim Spazieren gehen ist die ganze Zeit ein Blatt vor mir hergeflattert. Das kann ein Zeichen sein, dass ich kommen soll. Es hat sich dann aber herausgestellt, dass sie mich gar nicht gerufen hatten. Kommt auch vor. Auf jeden Fall, so habe ich mir gedacht, wenn ich schon da bin, geh ich eben in der Unterwelt spazieren. Auch schön. Schon bei meiner ersten Runde ist mir dieser Mann aufgefallen, der ganz versunken in seine Gedanken auf einem großen Stein gesessen ist. Die Unterwelt ist schlecht möbliert, außer ein paar Steinen ist da wenig. Mir gefällt das ja, aber wenn man sich das ein paar hundert Jahre anschauen muss, kann der einem schon auf die Nerven gehen, dieser Minimalismus.
Na ja, und wie der Mann bei meiner zweiten Runde immer noch dagesessen ist, hab’ ich mich auf den Stein gegenüber gesetzt. Und einmal gewartet, ob er vielleicht etwas reden will. Da habe ich dann auch Gelegenheit gehabt, mir den Kerl näher anzuschauen. Ein ganz schöner Lackel, kann ich Ihnen sagen. Wirres dunkles Haar, ein wilder Blick unter Augenbrauen, die wie Schweinsborsten abstehen, nackte, tiefbraune Arme, denen man ohne weiteres zutrauen würde, einen kleinen Ochsen stemmen zu können. Daran Hände wie Schraubstöcke, und Finger, die einer Schmiedezange nicht unähnlich sind. An Armen, Brust und auch im Gesicht hat er zahllose Narben, wohl Zeugen eines Lebens, das der Kerl überall anders zugebracht haben dürfte, als auf dem Sofa vor dem Fernseher. Alles in allem, ein Mann, der die Antithese eines Couch-Potatoes darstellt, und dem man ungern im Halbdunkeln begegnen möchte. Trotz meiner 1Meter87 und fast 90 kg bin ich mir neben diesem Berg durchtrainiertem Fleisches wie ein Wichtel vorgekommen. Es war wohl ratsam, sich nicht mit diesem Hünen anzulegen, wenn man nicht wie eine Laus zerquetscht werden wollte. Das einzige, das nicht in das Bild eines Henkersknechts und Totschlägers gepasst hat, ist ein sehr feiner Seidenschal gewesen, den sich dieses Mammut von Mann fest um den Hals geschlungen hatte.
Nachdem ich ihn mir einige Zeit betrachtet hatte, blickte er auf, sah mich mit seinen dunklen Augen an und fragte mit einer tiefen grollenden Stimme: „Wer bist du, Fremder, und was willst du?“
„Och“, erwiderte ich, „ich bin der Andi Wahl aus Niederneukirchen und vertrete mir hier in der Unterwelt nur ein wenig die Beine. Man soll ja immer ein bisschen Bewegung machen um nicht einzurosten. Nicht wahr?“
Sein Gesicht verdüsterte sich. Die Augenbrauen zogen sich drohend zusammen und aus seinem Mund kam ein halb gesprochenes, halb gebelltes: „Geschwätz, nichts als Geschwätz!“
Ein wenig entmutigt wollte ich schon wieder gehen, aber dann habe ich mir doch ein Herz gefasst und noch einen Versucht wagte, in Kommunikation mit diesem Mann zu treten. Daher fragte ich nach einigen Minuten des Schweigens: „Und Sie, was machen Sie so den ganzen Tag, wenn sie nicht gerade auf einem Stein sitzen und grübeln?“
Sein Blick konnte einem das Blut in den Adern gefrieren lassen, so durchdringend war er. Augenblicklich bereute ich, noch hier geblieben zu sein.
„Ich bin Holofernes“, hob er aber plötzlich an, „oberster Heerführer des Nebukadnezzar, des Königs der Assyrer und Herrscher über die Erde.“ Dabei blitzten Stolz und Kampfeslust in seinen Augen auf und sein gewaltiger Brustkorb blähte sich noch weiter.
„Nun, Holofernes, oberster Heerführer des Nebukadnezzar“, erwiderte ich, “Ihr wirkt bedrückt.“ Langsam ließ er Luft aus seiner Nase strömen. Dieses Ausatmen dauerte eine kleine Ewigkeit. Er musste Lungen wie ein Kinderschlauchboot haben. Dabei wurde sein Blick traurig und ein wenig verwirrt. Langsam stand er auf, legte mir seine beiden Pranken schwer auf meine Schultern und sah mir streng in die Augen. Nachdem er seine Lungen wieder aufgeblasen hatte, begann er ruhig aber eindringlich zu erzählen.
„Im achtzehnten Jahr der Regierung des Nebukadenzzar zog ich mit einem gewaltigen Heer gegen Westen um die Völker dort zu bestrafen. Denn sie verweigerten meinem König die Gefolgschaft im Krieg gegen Arphaxad. Hundertzwanzigtausend Mann Fußvolk, zwölftausend berittene Bogenschützen. Für den Transport der Kriegsgeräte hatte ich ein gewaltiges Heer an Kamelen, Eseln und Maultieren. Die Herde der Schafe, Rinder und Ziegen zur Verpflegung der Truppen war unüberschaubar. Eine Masse von Hilfsvölkern schloss sich uns an. Unser Zug war gewaltig.
Wir plünderten Put und Lud und unterwarfen die Rassiter und Isamaeliter, überschritten den Euphrat und zogen durch Mesopotamien. Bis hin zum Meer zerstörten wir alle befestigten Städte. Wer sich uns in den Weg stellte wurde niedergemacht. Zur Zeit der Weizenernte stiegen wir in die Ebene von Damaskus hinab, steckten die Felder in Brand, vernichteten die Herden, plünderten die Städte, verheerten die Ebene und erschlugen alle jungen Männer.“
Damit nahm er endlich seine schweren Hände, deren Griff im Laufe seiner Schilderungen immer stärker geworden war, von meinen Schultern und streckte beide Arme empor. „Es war ein Fest“, rief er laut aus, „wir plünderten, vergewaltigten, brandschatzten und wateten durch ein Meer voll Blut und abgeschnittenen Gliedmaßen! Den Wein unserer Feinde tranken wir aus deren Hirnschale.“ Damit nahm er wieder auf seinem Stein Platz. Die Erinnerung an seine Feldzüge war noch so lebendig in ihm, dass auch jetzt noch seine Muskeln zu zucken begannen, wenn er davon sprach. In diesem Zustand wollte ich ihn auf keinen Fall provozieren, und hielt es für besser, meine pazifistischen Einstellungen für mich zu behalten. Ich muss sie ja nicht jedem auf die Nase binden, fand ich.
Langsam beruhigte sich mein Gegenüber und der traurige Blick kehrte in seine Augen zurück. Dann senkte er seinen Blick und starrte auf den Sand zwischen seinen riesigen Füßen.
„Was weiter?“, forderte ich ihn auf seine Erzählung fortzusetzen. Er sah mich unverwandt an und ich meinte einen Anflug von Hass in seinem Gesicht zu entdecken.
„Alle haben sich unterworfen. Der Ruf unserer Schlagkraft und unserer Grausamkeit besiegte die Völker schon vor unserem Eintreffen. Es war ein Spaziergang für meine Truppen. Aber wenn Söldner ihr Mordgeschäft nicht erledigen können, dann kommen sie auf seltsame Gedanken. Verschwörungen werden geplant und junge Heerführer wollen den Platz der alten einnehmen. Weit mehr Feldherren starben durch einen Dolch im Rücken, als durch das Schwert eines Feindes. Darum kam es mir gelegen, dass die Israeliten, diese sturen Hunde, nicht gewillt waren sich zu unterwerfen und sich ins Gebirge zurück zogen. Sie dachten, sie könnten mir trotzen. Pah!“ Damit sprang der Mann auf und ging wild stampfend einige Schritte auf und ab um sich jäh wieder an mich zu wenden.
„Ich berief alle Fürsten von Moab, die Heerführer von Ammon und alle Statthalter der Küstengebiete zu mir. ‚Sagt mir ihr Söhne Kannaans’, so sprach ich zu ihnen, ‚was ist das für ein Volk, das da im Bergland haust? Und warum haben sie alleine von allen Bewohnern der Wüste es abgelehnt, mir zu huldigen?’ Ich erfuhr, dass ihre Stellungen in den Bergen nur schwer einzunehmen seien, da die Wege hinauf steil und schmal sind. Aber ich verstehe mein Geschäft, Fremder! Wir zogen in die Ebene vor ihrer Stadt Betulia und besetzten ihre Brunnen und Quellen. Auch an den Berghügeln rundherum ließ ich Lager errichten. Damit saßen sie in der Falle und ich musste nur noch warten, bis sie sich vor Hunger und Durst selbst ergäben, oder einen verzweifelten Ausfall machten und wir sie allesamt niedermetzeln könnten.“
Nun setzte der Mann sich wieder mir gegenüber, beugte sich nach vorne und brachte sein bärtiges Gesicht ganz nahe vor meines. Dabei legte er eine Hand auf eines meiner Knie. Mir sind solche Vertraulichkeiten unter Männern unangenehm. Vor allem, wenn man sich eben erst kennen gelernt hat. Sein Gesicht nahm aber sanftere Züge an, soweit dies bei diesem Gesicht eben möglich war, und er dämpfte seine Stimme etwas.
„In der Nacht des fünfunddreißigsten Tages unserer Belagerung wurde mir von Vorposten eine Frau aus der belagerten Stadt Betulia gebracht. Sie hatte sich von ihrem Volk abgewandt und wollte ihr Leben retten. Denn sie war, wie sie sagte, eine Seherin und wusste, dass ich ihre Stadt zermalmen würde. Außerdem wollte sie zu ihrem Gott beten, der ihr sagen würde, wann der rechte Zeitpunkt für einen Angriff gekommen wäre. Dies alles hörte ich nur mit einem Ohr, denn meine Augen konnten sich nicht satt sehen, an der Schönheit dieses Weibes. Eine reife Frau in der Blüte ihrer Jahre. Und erfahren in allen möglichen Künsten, das sah man ihr an. Keine grüne Jungfrau, wie man sie zu Dutzenden im Vorbeireiten nimmt und nach einigen Galoppsprüngen des Pferdes schon wieder vergessen hat. Nein, eine reife, süße Frucht, die man mit Bedacht genießen muss. Man betrachtet sie, lässt sie einige Zeit liegen, schneidet sie auf und schlürft sie in kleinen Schlucken. Wenn du verstehst, was ich meine.“
Ich zuckte nur mit den Schultern, ich glaube nicht, dass ich wusste, was er meinte. Wohl etwas enttäuscht nahm er die Hand von meinem Knie und richtete sich auf.
„Ich habe ihr versprochen, sie zu schonen“, fuhr er fort, „und ihr ein Zelt prunkvoll einrichten lassen und gab ihr meinen Eunuchen Bagoas zu ihrem Schutz. Als sie vier Tage in meinem Lager war, habe ich sie zu einem üppigen Mahl geladen. Dabei konnte ich entdecken, dass sie nicht nur eine sehr schöne, sondern auch kluge und geistreiche Frau war. Wir sprachen lange, aßen köstlich und tranken den besten Wein. Seit meiner Jugend haben ich keinen Abend mehr so genossen. Einmal keine Städte niederbrennen, keine Strategieplanungen mit Heerführern, von denen dich jeder am liebsten tot sehen möchte um deinen Platz einzunehmen, und einmal keine Gefangenen ausquetschen. Nur mit dieser schönen klugen Frau sitzen, reden und spüren, wie die Glieder schwer werden vom Wein. Mein Vorhaben ihr zwischen die Schenkel zu gehen verschob ich auf eine der nächsten Nächte, diese Nacht sollte nur unseren Gesprächen gehören. Endlich konnte ich einmal alle Vorsicht fahren lassen und nur im Augenblick leben.“
Seine Stimme bekam dabei eine ungeahnte Weichheit und seine Augen sahen verklärt an mir vorbei in die Ferne. Er war sichtlich ganz in seine Erinnerung eingetaucht. Nach einiger Zeit fasste er sich wieder, sah mich an und begann langsam den Seidenschal, den er so straff um seinen Hals gebunden hatte, zu lösen.
„Dies sollte mein letzter Abend auf Erden gewesen sein.“, sagte er, und der Seidenschal gab eine klaffende Wunde preis, die rund um seinen Hals verlief. „Sie hat mir, als ich gegen Morgen eingeschlafen war, mit meinem eigenen Schwert den Kopf abgeschlagen.“
Ich musste meine ganze Selbstbeherrschung zusammen nehmen, um nicht angewidert meinen Kopf zur Seite zu drehen. Die weit aufklaffende Wunde pulsierte an ihren Rändern, als ob sie eben erst geschlagen worden wäre. Um mich nicht übergeben zu müssen bemühte ich mich ganz flach zu atmen. Ich wollte dem armen Kerl nicht auch noch vor die Füße kotzen. Das Bild der pulsierenden Wunde stand auch in einem unerträglichen Gegensatz zu seinem verträumten Blick, in dem alle Seeligkeit der Welt zu liegen schien. Als er aus seiner Erinnerung zurück kehrte, wandte er sich wieder an mich.
„Ich liebe diese Frau, und werde sie wohl in alle Ewigkeit lieben. Gut, sie hat mir das Leben genommen. Aber was war das schon für ein Leben? Irgendwann hätte mich, nach einem Leben voll Morden und Rauben, ein Speer von vorne oder ein Dolch von hinten erledigt. Sie aber hat mir nicht nur eine schöne Nacht geschenkt, sondern mich auch vor diesem Leben bewahrt.“ Andächtig ließ er den Seidenschal zwischen seinen Fingern hin und her gleiten. „Das ist ihr Schal. Judiths Schal.“ Nun erhob er sich, wickelte sich den Schal um seine Wunde und ging grußlos davon.
Ich blieb noch eine Weile auf dem Stein sitzen und fragte mich, ob ich jetzt irgend etwas gelernt hätte. Nein, musste ich nach einer Zeit feststellen, nichts.

Ach, wegen der Unterwelt, dass ich in die hinabsteigen kann, und so. Sie wissen schon. Kein Wort zu jemanden. Das müssen Sie mir versprechen. Ja?

Montag, 23. Februar 2009

Lieblingsbilder

Franz Sedlacek (1891-1945 vermisst in Polen)

Der Maler nahm an beiden Weltkriegen teil. Er gründete in Linz 1913 mit anderen Kollegen die Künstlervereinigung MAERZ. Seine Bilder sind bedrückend, verzerrt . Durch seine altmeisterliche Maltechnik im Gegensatz zum modernen Dargestellten erwirkt er einen eigenen Zauber .

Sonntag, 1. Februar 2009

Lieblingsbilder

Jacques Callot (1592-1635)
Callot ist der Ahnherr aller Kriegsreporter, er stelle Bilder vom 3ojährigen Krieg her (Radierungen). Der Galgenbaum ist das Bekannteste. Was sieht man auf dem Bild- es werden Menschen gehenkt, lange Zeit glaubte man es seien Gefangene. Aber nach neuesten Untersuchungen und Funden (Bibliothek Berlin), ist man eher der Meinung es müsste sich um Plünderer aus den eigenen Reihen handeln. So gesehen hat das Bild nach Jahrhunderten eine ganz andere Bedeutung.